Klischees töten das Interesse Ihres Publikums an Ihrem Thema und verfälschen oft die Realität. Drei Wege, Stereotypen und Vorurteilen zu entrinnen.
Der kenianische Journalist und Schriftsteller Binyavanga Wainaina hat eine ironische Anleitung für Autorinnen und Autoren verfasst, die über Afrika schreiben wollen.
Darin rät er:
„Behandeln Sie Afrika in Ihrem Text, als wäre es ein einziges Land! Es sollte heiß und staubig sein mit wogenden Weiden, riesigen Tierherden und großen, dürren Menschen, die Hunger leiden.
Oder heiß und schwül mit sehr kleinen Menschen, die Affen essen.
Verzetteln Sie sich nicht in detaillierten Beschreibungen.
Afrika ist groß: 54 Länder und 900 Millionen Menschen, die viel zu sehr damit beschäftigt sind, zu hungern, zu sterben, zu kämpfen und auszuwandern, als dass sie Zeit hätten, Ihr Buch zu lesen.“
Wainaina beschreibt das Klischee von Afrika, so wie er es in vielen Texten und Filmen fand.
Die Autorinnen und Autoren all dieser Beiträge bringen nichts Neues mit von ihren Afrikareisen.
Sie bestätigen nur, was sie selbst und die meisten ihrer Leser schon zu wissen glauben.
Das ist erstens langweilig und zweitens irreführend.
Denn das Afrika der meisten Afrikaner sieht ganz anders aus, wie ein Projekt der Academy of Advanced African Studies an der Uni Bayreuth zeigt.
Die Forschenden schreiben auf ihrer Website:
"Afrika wird in deutschen Medien und auch in Schulbüchern und Unterrichtshandreichungen oft in stereotyper und veralteter Weise dargestellt. (...)
Bis heute lernen junge Menschen in Deutschland wenig über die große Diversität des Nachbarkontinents, über das Alltagsleben jenseits der Krisen, über die boomenden Städte und die wachsenden Volkswirtschaften – ganz zu schweigen von den Hoffnungen und Zukunftsträumen von (jungen) Menschen in Afrika."
Klischees vergiften Millionen von Texten
Natürlich ist das Problem mit den Klischees nicht auf Beiträge über Afrika beschränkt.
Stereotype lauern in jedem Thema. Sie bedrohen potentiell jeden Text.
Wenn es ein Klischee in Ihren Text geschafft hat, macht es ihn in jedem Fall langweiliger.
Im schlimmsten Fall verzerrt es das Bild von der Wirklichkeit so stark, dass Sie Ihr Publikum schlicht falsch informieren.
Wenn Sie zu denen gehören, die die Welt interessant, exakt und glaubwürdig beschreiben wollen, empfiehlt es sich, die Klischees in Ihrem eigenen Kopf zu erkennen und dahinter zu blicken.
So kann das gelingen:
Anti-Klischee-Tipp Nr. 1: Werden Sie sich der Klischees bewusst!
Listen Sie vor dem Schreiben alle Klischees auf, die Ihnen zu Ihrem Thema in den Sinn kommen.
Angenommen, Sie planten einen Reisetext über die Seychellen, welche Klischees fallen Ihnen dazu ein?
Schneeweise Strände, atemberaubende Sonnenuntergänge, Palmen, glasklares Wasser und große Nüsse in der Form eines weiblichen Gesäßes?
Gut. Dann tun Sie Ihren Leserinnen und Lesern einen Gefallen und schreiben Sie einen Text, der ohne schneeweise Strände, atemberaubende Sonnenuntergänge und wie Hintern geformte Nüsse auskommt!
"
Dem erbärmlichen Geist ist es zu eigen, stets nur Klischees und niemals eigene Einfälle zu verwenden.
Hieronymus Bosch
Anti-Klischee-Tipp Nr. 2: Konkretisierung pulverisiert jedes Klischee!
Ich habe für das "Coburger Tageblatt" einmal einen Bürgermeister porträtiert – und meine Leserinnen und Leser damit vermutlich zu Tode gelangweilt.
Nach mehreren Jahrzehnten im Amt, hatte der Mann die gesetzliche Altersgrenze erreicht. Bei der nächsten Wahl würde er nicht mehr antreten dürfen. Ruhestand war angesagt.
Was fragt man jetzt so einen zukünftigen Ex-Bürgermeister, den es zu porträtieren gilt?
Unter anderen stellte ich ihm diese Frage:
"Was machen Sie den jetzt mit all der freien Zeit, die Sie bald haben werden?"
Als hätte er nur auf diese Frage gewartet, antwortete der Bürgermeister ein wenig von sich selbst gerührt, er werde seiner Familie bald ganz viel Zeit zurückgeben.
So stand es in meinem Porträt.
Und das ist: LAAAAANGWEIIILIG!
Weil das so gut wie jeder Mann in der gleichen Situation antworten wird.
Mit anderen Worten: Ich habe meinem Publikum ein fettes Klischee unter die Nase gerieben.
Sie erfuhren aus meinem Text nichts, was sie sich nicht selbst hätten denken können.
Was hätte ich stattdessen tun müssen?
Genau! Ich hätte meinen Gesprächspartner zum Konkretisieren zwingen müssen.
"Mit wem wollen Sie denn jetzt mehr Zeit verbringen?"
"Was genau haben Sie vor?"
Hätte ich solche Fragen gestellt, hätte ich einen interessanteren Text schreiben können.
Meine Leserinnen und Leser hätten daraus etwas Neues erfahren.
Vielleicht, dass der Ex-Bürgermeister mit seiner Enkelin angeln gehen wird.
Oder, dass er vorhat, mit seinem Sohn nach Lappland zu reisen...
Wenn Sie das nächste Mal eine Klischee-Frage stellen, werden Sie merken, dass Sie darauf eine Klischee-Antwort bekommen.
Und dann töten Sie das Klischee!
Bohren Sie tiefer!
Lassen Sie nie wieder einen Interviewpartner mit einer Klischee-Antwort durchkommen!
Holen Sie sich die konkreten Antworten!
Wie heißt die Enkelin Ihres Interviewpartners? Wie alt ist sie? Haben die beiden schon mal zusammen einen Fisch gefangen? Was denn für einen?...
Spüren Sie die Kraft des Konkreten?
Entfesseln Sie sie in Ihren Texten!
"
Wenn Sie ein Adjektiv sehen, bringen Sie es um!
Mark Twain
Anti-Klischee-Tipp Nr. 3: Show, don't tell!
„Jeder einzelne Sonnenuntergang auf den Seychellen ist ein unvergessliches Erlebnis.“
Mag sein. Aber in diesem Satz hat nur einer ein unvergessliches Erlebnis: sein Autor.
Nur er wird beim Schreiben einen konkreten Sonnenuntergang vor sich sehen, nämlich einen, den er auf den Seychellen selbst erlebte.
Wer solch einen Sonnenuntergang noch nie genossen hat, erlebt in dem oben zitierten Satz rein gar nichts.
Weil der Autor nur abstrakte Schlüsse formuliert.
Anstatt sein Publikum den Sonnenuntergang erleben und selbst staunen, denken und fühlen zu lassen, speist er es mit wertenden Adjektiven ab. Ein unvergessliches Erlebnis? Wohl kaum.
Dabei können Texte derartige Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle sehr wohl vermitteln.
Nur müssen sie dafür konkret werden. Sonst bleiben sie einmal mehr im Klischee hängen.
Damit Leserinnen und Leser den Sonnenuntergang nachempfinden können, muss der Text ihnen buchstäblich vor Augen führen, wie die Sonne auf den Seychellen untergeht.
Der Autor müsste so konkret er nur kann ZEIGEN, was er sah, hörte, fühlte oder roch, als die Sonne unterging.
Vielleicht so:
"Und dann fiel die gelbe Feuerscheibe hinter den glutroten Horizont. Fast so schnell wie ein Zwei-Euro-Stück ins Sparschwein fällt. Zurück blieben nur die Hitze in unseren Gesichtern und das sanfte Tosen des indischen Ozeans."
Wenn Sie so über den Sonnenuntergang schreiben, können ihn die Leserinnen und Leser ein Stück weit selbst erleben.
Denn Lesen ist Assoziieren. Die besten Texte veranstalten Kino im Kopf.
"Show, don´t tell!", lautet der Merksatz dahinter.
Er funktioniert auch bei weniger romantischen Themen:
Vielleicht wollen Sie mit Ihren Texten zeigen, wie innovativ Ihr Unternehmen ist, wie kompetent seine Mitarbeiter sind und wie nachhaltig deren Lösungen wirken.
Wenn Sie das glaubhaft und überzeugend machen wollen, sollten Sie in diesen Texten auf abstrakte und ausgelutschte Adjektive und Adverbien wie innovativ, kompetent und nachhaltig unbedingt verzichten!
Wertende Adjektive gehören zu den Quotenkillern. Das sind sprachliche Mängeln, die Leser nachweislich in Scharen aus Texten vertreiben. Der schlimmste aller Quotenkiller ist das Zitat.
Aber das ist eine andere Geschichte...
Was halten Sie von diesen Ideen gegen Klischees in Texten? Schreiben Sie Ihre Meinung gleich hier unten in die Kommentarspalte!