April 12, 2021

Schreiben kann einem Horrortrip gleichen. Oder einer Reise, die Sie ganz entspannt ans Ziel führt. Sie haben es in der Hand. 

Glauben Sie, mir fällt das Schreiben leicht? Schüttle ich diesen Text vielleicht aus dem Ärmel?

Mitnichten!

Habe ich Spaß daran, diese Zeilen zu schreiben?

Habe ich mich entspannt und mit Freude an die Arbeit an diesem Text gemacht?

Ja, natürlich! Ich mache mich doch nicht selbstständig, um mich dann mit meinem Job herumzuquälen!

Lesenswerte Texte zu produzieren, ist harte Arbeit – die Sie ganz entspannt und mit Spaß an der Freude erledigen können.

Wenn Sie es richtig anstellen.

Dafür müssen Sie Ihr Prokrastinieren professionalisieren. 

Prokrastination ist der Versuch, der dauernden Überforderung zu entkommen

Alle prokrastinieren. Ich jedenfalls kenne niemanden, der frei wäre von Aufschieberitis. Menschen, die vom Schreiben leben, schon gleich zweimal nicht.

Jetzt könnten Sie Ihren Hang zum Prokrastinieren bekämpfen.

Oder es einfach erdulden, dass Sie Ihren Hintern immer erst dann hochkriegen, wenn Sie eine Deadline dazu zwingt.

Es gibt aber noch einen dritten, viel angenehmeren Weg:

Akzeptieren Sie Ihr Prokrastinieren als das, was es ist: 

Ihr verzweifelter Versuch, der dauernden Überforderung Ihrer Willenskraft zu entkommen.

Schauen Sie der Wahrheit ins Gesicht!

Schreiben ist anstrengend.

Und Ihre Willenskraft nimmt im Laufe des Tages ab.

Entscheidend für Ihre Freude am Schreiben und Ihren langfristigen Erfolg damit ist, welche praktischen Schlüsse Sie aus diesen Grundtatsachen ziehen.

Ihre Willenskraft erschöpft sich wie ein Muskel

Professor Baba Shiv von der Universität Stanford hat für ein Experiment 165 Studierende in zwei Gruppen eingeteilt.

Die Mitglieder von Gruppe A sollten sich eine zweistellige Zahl merken. Die der Gruppe B forderte er auf, eine siebenstellige Zahl im Gedächtnis zu behalten.

Dann bat der Professor seine Versuchskaninchen, den Raum zu wechseln, um anschließend die Zahl von sich zu geben, die sie sich gemerkt hatten.

Auf dem Weg von einem in den anderen Raum wurde allen ein Snack angeboten – als Belohnung für die Teilnahme an diesem Experiment.

Die Studierenden hatten die Wahl zwischen einem Schokokuchen und einem Obstsalat – zwischen einer zuckrigen Versuchung und einer gesunden Zwischenmahlzeit.

Mit diesem Experiment überprüfte Shiv seine These, dass unsere Willenskraft abnimmt und zwar umso stärker, je mehr davon wir aufbringen müssen. Wie ein Muskel, der umso müder wird, je mehr wir ihn beanspruchen.

Der Professor nahm an, dass die Studierenden, die versuchten, die siebenstellige Zahl im Gedächtnis zu behalten, größere Probleme damit haben würden, der Versuchung des Schokokuchens zu widerstehen.

Die gute Nachricht: Willenskraft ist eine erneuerbare Energie

Baba Shiv sollte Recht behalten:

Die Studierenden mit den sieben Ziffern im Kopf wiesen eine fast doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit auf, dem Schokokuchen zu verfallen wie ihre Kommilitonen.

Warum erzähle ich Ihnen das?

Weil Sie für die Arbeit an Texten ganz schön viel Willenskraft aufbringen müssen.

Und weil diese kostbare Ressource im Laufe Ihres Arbeitstags abnimmt.

Stellen Sie sich Ihre Willenskraft vor wie den Akku in Ihrem Handy:

Morgens starten Sie voll aufgeladen mit Entschlusskraft. Aber mit jeder Aufgabe, die Sie bewältigen, verringert sich der Ladestand. 

Bis Sie abends vorm Fernseher keine Entschlusskraft mehr übrig haben, um den Chips in Ihrem Nasch-Schrank zu widerstehen.

SEneca

"Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwer."

Wenn Sie sich also nach Tagen des Aufschiebens endlich hinsetzen, um einen Text von der Themenidee über die Recherche, die Planung, das Schreiben bis hin zum Grammatik-Check und zum sprachlichen Feinschliff an einem Stück abzuarbeiten, muss das in Stress, Panik und Erschöpfung enden.

Geht gar nicht anders.

Weil Ihnen auf dem Weg zur Ziellinie unweigerlich die Puste ausgeht. Sie laufen im Reservemodus. Ihr Willenskraft-Muskel krampft.

Die gute Nachricht: Willenskraft ist wiederaufladbar!

Deshalb rate ich Ihnen, auf professionelle Art und Weise zu prokrastinieren.

Beginnen Sie die Arbeit an einem Text unbedingt weiterhin damit, einen Großteil der damit verbundenen Aufgaben aufzuschieben!

Aber nicht alle.

Prokrastinieren Sie, aber richtig!

Überlegen Sie, worin der eine, vielleicht kleine erste Schritt besteht, den Sie gehen können, um Ihrem Ziel hier und heute ein bisschen näher zu kommen!

Gehen Sie diesen Schritt. Und machen Sie dann etwas, das wenig oder gar keine Willenskraft erfordert. Damit sich Ihr Akku wieder aufladen kann. 

So zerlegen Sie Ihr Schreibprojekt in lauter kleine Schritte, die Sie hübsch nacheinander gehen. Und Sie planen ganz bewusst Ladezeit für Ihren Akku ein.

Der Weg bis zum fertigen Text bleibt der gleiche. Aber Sie starten früher als bisher, legen mehr Pausen ein und kommen deshalb entspannt und voller Energie ans Ziel.

Lassen Sie mich das am Beispiel des Textes zeigen, den Sie gerade lesen!

Sein Erscheinungsdatum ist Mittwoch, der 14. April 2021.

Als ich noch ein Deadline-Junkie war, hätte ich frühestens am 13. April nachmittags mit der Arbeit an diesem Beitrag angefangen. In der trügerischen Annahme, mir durch das Aufschieben Luft zu verschaffen.

Der Text wäre fertig geworden. Vielleicht hätte ich sogar das Gefühl gehabt, er sei mir gelungen.

Aber es hätte natürlich überhaupt keinen Spaß gemacht, ihn zu schreiben. Garantiert wäre ich nicht vor Mitternacht ins Bett gekommen. Und ich hätte schlecht geschlafen.

Inzwischen bin ich Prokrastinationsprofi: Ich überlasse es nicht der Aufschieberitis, mir Luft zu verschaffen. Ich verschaffe mir die Luft selbst.

Indem ich mir von vornherein und ganz bewusst die ganze Woche Zeit nehme für diesen Text.

Netto verkürzt das meine Arbeitszeit für diesen Beitrag. Und zwar erheblich. Weil ich die einzelnen Aufgaben angehe, solange mein Akku noch voll ist.

Ich produziere den Text in Etappen, so dass sich meine Batterie zwischendurch wieder aufladen kann.

Professionelles Prokrastinieren am Beispiel der Entstehung dieses Textes

Konkret lief das bei diesem Text so: 

Donnerstag: 10 Minuten, um aus der Liste meiner Ideen für Blogartikel ein Thema auszuwählen.

Freitag: 20 Minuten Brainstorming mit mir selbst. Was fällt mir ein zum Thema "Schreibstress, Panik, Prokrastination"? Danach noch einmal 20 Minuten Recherche. Wo habe ich die Geschichte von Professor Baba Shiv noch mal gelesen? (in "The One Thing – die überraschend einfache Wahrheit über außergewöhnlichen Erfolg" von Gery Keller – super Buch!)

Samstag Abend: Fernsehen mit meiner Familie. Nebenbei zeichne ich das Bild, mit dem ich diesen Blog-Beitrag illustrieren will. Die linke Hand des erschöpften Schreibers zeichne ich zwei Dutzend Mal. Dann ist meine Willenskraft aufgebraucht...

Sonntag: Fast wäre ich komplett ohne Willenskraft ausgekommen. Bis meine Frau und die Kinder auf die Idee kommen, in den Baggersee zu springen. Bei 10 Grad und Nieselregen! An den Text hab ich keine Sekunde gedacht.

Montag: Die erste halbe Stunde des Tages gehörte der Planung dieses Textes. Danach kümmere ich mich um andere Dinge, bereite Seminare vor und beantworte E-Mails.

Jetzt ist es Montag halb fünf. Ich bin dabei, die Rohfassung dieses Textes runterzuschreiben. Aufwand: etwa 45 Minuten. Ich schreibe Rohfassungen so schnell ich kann, ohne Rücksicht auf Tippfehler und andere Verluste.

Morgen (Dienstag) werde ich den Text etwa 30 Minuten lang feinschleifen. Danach stelle ich ihn als Entwurf auf die Website.

Am Mittwoch muss ich dann nur noch ein, zwei Knöpfe drücken, damit Sie dieser Text erreicht.

Prokrastinieren für Profis bedeutet, früher mit dem Aufschieben zu beginnen

So sieht Profi-Prokrastination in der Praxis aus. 😉

Wir schieben dabei – zumindest zu Beginn – immer noch den Großteil der Arbeit vor uns her.

Aber wir beginnen viel früher damit. Und einen kleinen Teil der Arbeit erledigen wir.

Ich fürchte, so einfach ist es.

Was meinen Sie?

Ich freue mich über Ihren Kommentar gleich hier unter diesem Beitrag.

Bitte teilen Sie den Text auch gerne mit Ihrem Netzwerk! DANKESCHÖN!

  • Danke! Genau DAS habe ich heute gebraucht. Na gut, eigentlich hätte ich es schon vor einer Woche gebraucht, als ich angefangen habe, mich vor meinem aktuellen Textauftrag zu drücken 😉 Freitag ist Deadline, aber ich schaffe das!

  • Wie ich mich in diesen Ausführungen wieder finde, täglich. Und wenn ich den Kreislauf doch durchbreche und gut geplant arbeite geht es mir viel besser. Frage: Warum verfalle ich immer wieder in die alten Muster und schiebe was es geht…. Unvernunft? Dummheit? Denn Unkenntnis kann ich nicht als Entschuldigung anbringen. Ich erforsche mich weiter.

    • Hallo Petra,

      danke für Ihren Kommentar!

      Was Sie da beschreiben, kennt vermutlich jeder.

      Wir wissen, dass wir uns mehr bewegen und weniger Quatsch futtern sollten.
      Wir wissen, dass wir viel seltener aufs Handy starren sollten.
      Und wir wissen, dass es uns und unseren Texten nicht guttut, wenn wir das Schreiben auf die lange Bank schieben.

      Trotzdem halten wir uns nicht immer an unsere guten Vorsätze.

      Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

      Ein Gegenmittel haben Sie in Ihrem Kommentar beschrieben:
      Mir jedenfalls hilft es, mir vor Augen zu führen, warum ich mich an meinen Vorsatz halten sollte: Weil es mir dann besser gehen wird. Mehr Freude, weniger Stress. Das sind gute Argumente. Oder?

      Das zweite Gegenmittel ist in meinem Fall ein klarer Plan. Wenn ich es dem Zufall überlasse, wann und in welcher Reihenfolge ich die Arbeit (an einem Text) angehe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Projekt auf den letzten Drücker fertig wird. (Das passiert mir auch. Aber immer seltener.)

      Viele liebe Grüße

      Steffen Sommer

  • Genau so mache ich es schon seit einiger Zeit und fühle mich richtig wohl dabei. Ist am Anfang allerdings nicht leicht gewesen nicht alles gleich zu erledigen und auch mal etwas liegen zu lassen.

    • Danke, Herr Pippir!

      Auch mal was liegen zu lassen, fällt mir nach wie vor schwer.
      Das Blöde ist nur, dass mir nichts anderes übrig bleibt.
      Ich könnte 24/7 durchackern – trotzdem wäre nicht alles erledigt 😉

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